Mein Name ist Hannes Kiso. Ich bin 23 Jahre alt und studiere in Oldenburg Politik-Wirtschaft und Germanistik auf Lehramt. Vor ungefähr einem halben Jahr sprach mich mein Vater, der Mitglied des Tisches OT 62 in Hameln ist auf dieses besondere Angebot des YAP-Programms an. Ich wurde hellhörig und beschloss mich auf einen Platz in dem Austauschprogramm „Nordindien“ zu bewerben.
Aber was meinte ich zu diesem Zeitpunkt über das Land zu wissen? Klar Kolonialisierung, heilige Kühe, Hinduismus, Konflikte mit den pakistanischen Nachbarn… Meine wesentlichen Vorstellungen von dem Land basierten ehrlichgesagt jedoch eher auf Slumdog Milionair. Das machte die Reise umso spannender für mich.
Am 29. Juli ging es für mich vom Frankfurter Flughafen aus los. Ich flog zunächst alleine bis Delhi und traf dort eher per Zufall meine zwei italienischen Mitreisenden. Nach zweieinhalb weiteren Flugstunden landeten wir dann endlich in Mumbai. Wir wurden herzlich in Empfang genommen und warteten nochmal zwei Stunden auf die verbleibenden Yap´s. Die Zeit überbrückten wir bei erschlagender Hitze mit einem Tee und einen Vegetarischen Burger mit grüner Chillischote. „Das hört sich jetzt vielleicht erstmal schlechter an als es ist.“ Sobald wir vollständig waren, machten wir uns nach einem kurzen Kennenlernen, in verschiedenen Autos auf den Weg zu unseren jeweiligen Gastgebern. Es konnte losgehen!
Den Abend verbrachte ich noch mit Patrick (einem der Italiener) und unserem gemeinsamen Host Sanjiv, zu Gast bei einigen Fischern direkt am Meer. Wir aßen ein paar indische Snacks, tranken das ein oder andere Bier und genossen die erfrischende Meeresbriese. Leider war der Strand selber jedoch total vermüllt und am nächsten Morgen erwachte ich um 5 Uhr mit Sodbrennen. Möglicherweise durch die Snacks, oder das erste Masalla. Wer weiß das schon…Herzlich willkommen in Indien! Ist auch nicht weiter wichtig, denn bereits um 11 Uhr am nächsten Morgen trafen wir uns gemeinsam um mit einigen der Mumbai OT´s die Stadt zu erkunden. Mumbai ist zunächst einmal groß, laut und eng. Andererseits ist es aber auch die kreative und moderne Ader, und das Herz der Finanzwirtschaft Indiens. Das „alte“ Zentrum der Stadt ist geprägt durch die alten, ehrwürdigen Kolonialbauten. Auf unserer Erkundungstour lernten wir zum ersten Mal das indische Leben, wie es auf der Straße stattfindet kennen. Der Straßenverkehr ist sehr hektisch und zunächst unübersichtlich. Deshalb ist Vorsicht geboten. Tatsächlich laufen auch in Mumbai vereinzelt (in kleineren Städten mehr) Kühe auf den Straßen herum und geben sich als ebenbürtige Verkehrsteilnehmer. Ansonsten besichtigten wir in Mumbai noch einen hinduistischen Tempel und feierten am letzten Abend gemeinsam mit den OT´s bei einem der Mitglieder zuhause eine kleine Party.
Danach ging es weiter mit dem Zug nach Pune. Pune ist mit 3,1 Mio. Einwohnern die neunt größte Stadt Indiens. Als eines der drei wichtigsten Zentren der Automobilindustrie und mit einer der besten Universitäten des Landes (University of Pune), ist Pune vor allem bei jungen, aufstrebenden Menschen sehr begehrt. Ich fühlte mich sehr wohl in der Stadt. Auf den Straßen ist alles einigermaßen sauber -in Pune gibt es eine nächtliche Straßenreinigung- und obwohl roten Ampeln auch hier eher weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, läuft der Verkehr verhältnismäßig geordnet ab. Da Pune und Nasik beide über 500 Meter über dem Meeresspiegel liegen, konnten wir uns über angenehme 25°C freuen. Wir verbrachten eine gute Zeit in unseren komfortablen Unterkünften mit den Familien und gemeinsam auf Entdeckungstour mit der gesamten Gruppe. Am letzten Abend gab es uns zu Ehren wieder eine Party, die ich als sehr schön in Erinnerung behalten habe. Insgesamt eine sehr schöne Zeit mit unseren Gastgebern.
In Nasik, einer wieder sehr typisch indischen Stadt, besuchten wir am Morgen nach unserer Ankunft einen kleinen Privaten Naturpark. Dort fuhren wir zuerst mit Kajaks auf einem kleinen See und aßen anschließend einen Happen. Danach besichtigten wir eine Fabrik, in der Textilien verarbeitet bzw. genäht werden. Es handelte sich um einen kleineren Betrieb mit geschätzt vielleicht 70 Mitarbeitern. Die Arbeitsbedingungen wirkten nicht so wie man sich das in Indien vielleicht vorstellen mag. Die Stimmung in der Produktionshalle war den Umständen entsprechend entspannt und die Mitarbeiter zeigten sich teils positiv an uns interessiert. Nachdem wir eine (sehr nützliche) Handgepäck-Reisetasche als Geschenk entgegennahmen, ging es zu einem der bekanntesten Weingüter Indiens. Nach einem Gang über das Gelände verkosteten wir noch ein paar Weine.
Am nächsten Tag ging es dann auch schon weiter nach Surat. Auf der Fahrt mit dem Auto fuhren wir teilweise durch dichten Dschungel. Wir machten noch eine Pause an einer von RT India aufgebauten und finanzierten Schulgebäude. Das Haus war grade erst fertig geworden. Die Schule stand irgendwo im nirgendwo zwischen dichtem Wald und riesigen Zuckerrohrplantagen.
In Surat angekommen erschlug uns zunächst wieder dieselbe schwüle Hitze wie in Mumbai. Fast noch unerträglicher. Surat lebt von seiner Industrie. Ich habe mir sagen lassen, dass vor allem die Textilindustrie und Edelsteinverarbeitung, die an der Küste gelegenen Stadt in den letzten zehn Jahren enorm anwachsen lassen habe. Tatsächlich liegt das alte Zentrum der Stadt fast schon ein wenig außerhalb. Die Straßen sind fast alle neu und überall wachsen große Gebäude aus der Erde. In Surat waren wir überwiegend mit den Kindern der OT´s unterwegs. Wir haben uns untereinander alle super verstanden und hatten eine gute Zeit.
Die nächste Station war Ahmedabad. Mit knapp 5,5 Mio. Einwohnern ist sie die fünft größte Indiens. Im Stadtbild der bis zu 1000 Jahre alten Altstadt finden sich die Handschriften verschiedener Kulturen wieder. Bekannt ist die Stadt vor allem aber dafür, dass Mahatma Gandhi sich nach seiner Rückkehr aus Afrika hier niederließ und die Harijan Ashram gründete. Von hieraus lenkte er über Jahre hinweg den gewaltlosen Wiederstand.
Während unseres Aufenthaltes machten wir eine turbulente Riksha-Tour durch die engen Gassen der sehr lebendigen Altstadt Ahmedabads. Dabei besichtigten wir diverse alte Gebäude, Anlagen, Tempel, Marktplätze und Moscheen. Außerdem besuchten wir die Sabarmati-Ashram, den Ort, wo Gandhi Jahre lang lebte und wirkte.
In Udaipur, der nächsten Stadt hielten wir uns nur über eine Nacht auf. In dieser wunderschönen Stadt (auch Stadt der Seen genannt) besuchten wir einen prunkvollen, zu einem Museum umgebauten Palast und fuhren mit einem Boot auf einem der 3 künstlich angelegten Seen, die sich oberhalb der Stadt auf Höhe des Palastes befinden. Abends waren wir noch zu einer Party auf der Dachterrasse eines RT-Mitgliedes eingeladen. Wir hatten von dort einen phänomenalen Ausblick und genossen eine super Feier.
Am nächsten Tag ging es aber auch schon weiter nach Bilwara, einer indischen Kleinstadt. Wir besuchten ein altes Fort, das auch als Fort der Affen bekannt ist. Tatsächlich tummelten sich neben den ganzen Touristen etliche Makaken in und auf dem Fort. Für uns die eigentliche Attraktion!
In Jaipur, der rosafarbenen Stadt, besuchten wir ebenfalls ein riesiges Fort. Nicht ganz so alt, dafür aber um einiges prunkvoller als das Fort der Affen. Außerdem gingen wir auf uns allein gestellt in der Innenstadt shoppen. Um zum Beispiel Klamotten zu vernünftigen Preisen zu erwerben brauchte man einiges an Verhandlungsgeschick. Eine sehr interessante Erfahrung!
Das nächste Ziel unserer Reise war Agra, wo das Taj Mahal, eines der sieben Weltwunder zu bestaunen ist. Zunächst besichtigten wir jedoch noch das Red Fort (aus rotem Sandstein) von Agra. Nachdem wir unser Gepäck im Hotel abgeladen hatten, ging es dann endlich los zum Taj Mahal. Das Taj Mahal ist ein absolut beeindruckendes Bauwerk. Komplett aus weißem, indischen Marmor und mit den zwei rötlichen Moscheebauten rechts und links davon einfach ein atemberaubender Anblick. Auf dem gesamten Gelände tummelten sich riesige Menschenmassen. Jeder von uns wurde am Ende des Tages sicherlich 20 Mal nach einem „Selfi“ gefragt (besonders jüngere Inder sind verrückt nach Selfis mit -wildfremden- Europäern). Das kann mit der Zeit sehr nervenaufreibend werden, jedoch sollte man solange nett gefragt wird entweder zustimmen oder wenigstens freundlich ablehnen.
Den Abend verbrachten wir noch im hoteleigenen Pool und bei einem leckeren Essen.
Am nächsten Morgen ging es dann auch schon weiter nach Luknow. Wir waren wieder im Hotel untergebracht. Inzwischen waren wir als Gruppe ein eingeschworenes Team und hatten eine tolle und zur Abwechslung auch mal entspannte Zeit hier. Wir besichtigten eine Moschee und eine etablierte Highschool, die ein wenig an Hogwarts erinnerte. Außerdem feierten wir mit den Tischmitgliedern in einem Golfclub den Independence Day of India. Der Feiertag steht im Zeichen der Unabhängigkeit Indiens nach der letzten Kolonialherrschaft durch Großbritannien und ist für die meisten Inder von großer Bedeutung. Überall in der Stadt werden Häuser in den Nationalfarben angestrahlt und auf den Straßen sieht man Artisten und andere Attraktionen.
Am letzten Abend in Luknow waren wir bei einem Tischmitglied eingeladen. Wir saßen lange auf der wunderschönen Dachterrasse und aßen, tranken und tanzten mit den Gastgebern.
Tags darauf ging es morgens um sieben los zum Bahnhof. Der vorletzte Halt auf unserer Reise hieß Varanasi -die Stadt der Toten-. Die Zugfahrt dorthin war insofern eine Erfahrung, als dass wir Reservierungen im Schlafwagon hatten. Nachdem endlich jeder seine Pritsche in dem dunklen und stickigen Wagon eingenommen hatte, hieß es für sechs Stunden abwarten. In Varanasi angekommen gab es zunächst eine Stärkung. Nachdem wir unsere Sachen bei unseren Gastgebern abgeladen hatten machten wir uns auf den Weg zum Ganges, wo ein Bot für uns bereitstand. Das Bot war eher ein großer Kahn ohne Motor. Gesteuert wurde er von drei motorisierten Beiboten und insgesamt sieben Mann. Das sah alles wirklich kompliziert aus! Mit dem Bot fuhren wir dann zu einem nicht allzu ferngelegenen Platz direkt am Ufer des Ganges. Dort findet jeden Tag um 19:15 Uhr eine Hinduistische Messe statt, der viele Touristen auf etlichen Boten, aber auch tausende Inder Beiwohnen. Für mich einer der ganz besonderen Momente auf dieser Reise. Auf dem Rückweg zu unserem Anleger beobachteten wir noch einige hinduistische Bestattungsprozeduren. Die Toten werden am Ufer des Ganges verbrannt und ihre Asche später im Fluss verteilt. Für uns zunächst ein bizarrer Anblick!
Nach zwei Tagen in der heiligen Stadt am Ganges ging es dann per Flugzeug nach Delhi. Die letzten zwei Tage unseres Aufenthalts in Indien verbrachten wir wieder mit ausgeprägtem Sightseeing. Wir besichtigten eine große Moschee, schauten uns wichtige Staatsgebäude an und besuchten die drei bekanntesten Märkte Delhis. Da Delhi eine gigantische Metropole ist, verbrachten wir auch viel Zeit in U-Bahn und Auto. Die abschließende Feier in einem Sportclub musste ich leider frühzeitig verlassen. Ich hatte mir den Magen verdorben, was in Indien relativ schnell geschieht.
Am nächsten Morgen ging es zum Flughafen. Von hieraus trennten sich unsere Wege nach und nach, da wir auf unterschiedlichen Wegen die Rückreise antraten.
Insgesamt kann man wohl sagen, dass die Reise sehr erfolgreich verlaufen ist. Wir haben in diesen 20 Tagen viel neues entdeckt, neue Kontakte geknüpft und hatten glaube ich alle eine sehr schöne Zeit. Ich glaube, dass es ohne die Unterstützung einer solchen Organisation wie RT oder OT kaum möglich wäre, ein so umfangreiches Programm, wie das YAP-Programm zu gestalten. Unsere indischen Gastgeber waren immer sehr zuvorkommend und offenherzig. Teilweise räumten die Kinder sogar ihre Betten für uns.
Jeder Tisch, den wir in Indien besuchten hatte ein eigenes Programm für die Tage unseres Aufenthalts aufgestellt. Zum einen lernten wir so aus erster Hand die jeweiligen Städte auf meist sehr interessante Weise kennen, zum anderen kam jedoch auch der Spaß nicht zu kurz. Meistens kam es zu einer Mischung aus Gesamtplanung für die ganze Gruppe und Individualplanung der jeweiligen Gastgeber. Zum Beispiel lud mich mein Gastgeber aus Ahmedabad in ein erst vor wenigen Jahren zu Ehren Gandhis eröffnetes virtuelles 360 Grad Museum ein (muss man sich jetzt nichts genaueres drunter vorstellen können, war aber sehr beeindruckend und eines der besten Museen, die ich je besucht habe).
Worüber man sich auch keine Sorgen machen sollte ist die Verpflegung. Wir waren in unserer Zeit in Indien überwiegend in Restaurants essen (auf Einladung der Gastgeber). Auf den Karten finden sich neben scharfen Gerichten auch leichter verträgliche. Außerdem besteht meist ein umfangreiches Angebot an vegetarischen Gerichten. Die Inder legten nachdrücklich Wert darauf, dass wir mindestens (!) drei Mal am Tag warm aßen.
Obwohl so vieles für uns möglich gemacht wurde, war die Tour alles andere, als ein entspannter Reiseurlaub. Gefühlt wollten die gastgebenden Tische sich mit ihren Programmen für uns gegenseitig überbieten! Das hieß für uns vor allem wenig Schlaf und wenig Pause. Wir sagten uns immer, dass wir ja auch nicht zum Schlafen hier seien.
Bei einer so langen und doch auch beschwerlichen Reise, ist es wichtig, dass die Reisegruppe funktioniert. In unserem Fall klappte das sehr schnell und wunderbar. Wir hatten so viel Spaß miteinander, dass die Müdigkeit immer wieder in den Hintergrund trat. Wir bekamen sogar öfters Komplimente von unseren Gastgebern für unsere gute Gruppendynamik.
Deswegen möchte ich zunächst meinen lieben Mitreisenden für ihre tolle Gesellschaft danken! Ich finde wir hatten echt eine bomben Zeit. Dann gilt natürlich ein großer Dank Hadding Panier, der die Organisation der Reise für uns deutsche übernommen hat. Zu guter Letzt danke ich den vielen netten und offenherzigen Familien, die uns während unserer Reise aufgenommen haben. Man hatte immer den Eindruck, das wir einfach eine möglichst schöne Zeit bei ihnen haben sollten und absolut erwünscht waren. Vielen, vielen Dank!
Wie gesagt, ist die Realisierung einer solchen Reise mit all den beteiligten nur unter dem Dach einer Organisation wie dem RT/OT möglich. Für junge Menschen kann so eine Reise ungemein horizonterweiternd sein und ihnen neue Perspektiven und Denkweisen eröffnen. Eine wunderbare Möglichkeit für kulturellen Austausch und den Abbau von Vorurteilen!
Hannes Kiso
Vater ist Mitglied des Tisches OT 62 in Hameln